23 Feb Baltrum – vor einem Jahrhundert
Ein Kurgast, der heutzutage (Anmerkung:“1953″) aus fast allen Richtungen bequem – ohne von Hannover aus zum Beispiel dreimal umsteigen zu müssen – in durchgehenden Wagen in Norddeich-Mole sozusagen direkt längsseits an das schmucke Motorschiff nach Baltrum herangefahren wird, der nach angenehmer Fahrt durch das Watt auf der Insel angekommen, auf schönen, bequemen, rot gepflasterten Fußwegen ins Hotel oder in sein Pensionshaus gegangen ist, dort in sein freundliches Zimmer mit elektrischem Licht und fließendem Wasser tritt, kann sich wohl kaum eine Vorstellung davon machen, wie es damals vor langen Jahren hier aussah. Es dürfte manchen interessieren, darüber einiges zu erfahren.
Schon die Reise an die See war ein besonderes Ereignis. Freilich gab es damals schon D-Züge mit Speisewagen und sonstigen Bequemlichkeiten. Soweit liegt die Zeit von Anfang des Jahrhunderts ja nun doch nicht zurück. Aber diese Züge konnte man zu einer Reise nach Baltrum höchstens bis Oldenburg benutzen; dann ging’s mit mehrmaligem Umsteigen über Jever – Sande – Esens oder so ähnlich weiter, bis man „irgendwo da oben in Ostfriesland“ aus der kleinen Station Dornum aus einem Bimmelbähnchen ausstieg. Von dort aus ging’s noch eine gute Weile in bereitstehenden Pferdefuhrwerken – in unserem Falle am Spätnachmittag bei strömendem Regen in einer halbverdeckten „Chaise“ – hinüber an die Küste nach Neßmersiel, wo wir zum ersten Male das Meer erblickten, stürmisch, grau in grau. – Am Bollwerk erwartete uns kein Dämpferchen – ein schwerer, breiter Motorsegler, die „Möwe“, lag da vertäut, schwankend und an den Trossen knarrend! Es half nichts, wir mußten mit diesem wenig einladenden Fahrzeug für die Überfahrt vorlieb nehmen., obwohl wir uns lieber einem richtiggehenden Dampfschiff anvertraut hätten.
Lange dauerte die Überfahrt von Neßmersiel hinüber nach Baltrum ja nicht. Immerhin genügte es, daß meine Mutter und meine Schwester in der kleinen Kajüte unten, wohin sie sich vor dem peitschenden Regen und dem heulenden Winde geflüchtet hatten, tüchtig seekrank wurden. Was Wunder in dem kleinen, stickigen Raume mit der an der Decke hängenden hin- und herschaukeln-den blakenden Petroleumlampe, die einen an sich schon aus dem Gleichgewicht bringen konnte! – Wir landeten auf Baltrum in derselben Gegend, wo auch heute noch der Anleger ist, und dann ging’s durch den tiefen Sand, teilweise auf Laufbrettern, hinein ins Westdorf in unser Logierhaus neben Küpers Hotel, welches ja damals auch schon bestand, natürlich noch nicht so groß ausgebaut war wie heute.
Die freundlichen Wirtsleute taten alles, um ihren Kurgästen den Aufenthalt recht angenehm zu machen: sie brachten gleich eine Petroleum-Stehlampe ins Zimmer und auf den Nachttischen standen Kerzenleuchter bereit mit einer Schachtel Streichhölzer daneben… Frisches Wasser wurde eifrig von nebenan aus einem Brunnen herbeigetragen; es gab ja weder elektrisches Licht noch eine Wasserleitung auf der Insel!
Wie mühsam war dann der – Gottlob – nur kurze Weg zum Strand durch die Dünen auf den sandigen Pfaden! Freilich, es lagen zur Bequemlichkeit der Kurgäste immerhin Bretterlaufstege. Aber die boten gerade nur einer Person Platz; man mußte im Gänsemarsch gehen, und beim Begegnen mußte immer einer hinein in den knöcheltiefen Sand! Am damals schon schönen breiten Strande standen natürlich noch nicht die hübschen, bequemen Strandzelte wie jetzt, sondern Strandkörbe, die man heute noch bewundern kann, wenn man mal eine Dünenwanderung hinüber an das Ostende der Insel macht.
Dort sind auf hoher Düne noch zwei solcher Körbe auf einer Stange als Seezeichen aufgespießt, mit denen ich lächelnd Wiedersehen feierte. Es war eine Art umgestülpter, länglich-runder Waschkörbe, deren Böden als Sitzfläche dienten, und hintenherum bis nach oben hinauf waren Rückenlehnen geflochten, die aber bei Regen oder Wind nur wenig Schutz boten; denn sie waren noch nicht wie in späteren Jahren innen mit Zeltleinwand bezogen. Und mit den Beinen saß man sozusagen immer „draußen“!
Und doch – wir kannten’s ja gar nicht besser! – fühlten uns an dem Strande wohl und erholten uns prächtig, wir Stadtkinder, hier draußen auf dem schönen großen Sandspielplatz, obwohl wir natürlich nicht wie heute gleich in Badeanzügen herumspringen durften, o nein! Wir trugen die bekannten Matrosen-Waschanzüge, Turnschuhe und allenfalls „Wadenstrümpfe“, und nach Rückkehr zeigten wir dann stolz unserem Vater den braungebrannten Blusenausschnitt, die braun-gebrannten Waden, wenn wir die Strümpfchen mal herunterzogen… – „Heinz soll nachher mal barfuß laufen“, so schrieb meine Mutter damals im Juli 1906 auf eine Ansichtskarte an die Großmutter in Berlin. Und das war schon ein Ereignis, hineinwaten zu dürfen und zu planschen mit hochgezogenen Höschen! –
Zwischen zwei Buhnen, vor der damals um die ganze Nordwestseite der Insel herumlaufenden nur niedrigen Palisadenmauer (an der Südwestseite nach dem Anleger zu ist heute noch ein Teil davon zu sehen) waren das Damen- und das Herrenbad eingerichtet. Aber sie lagen nicht etwa dicht beieinander, sondern es lag erst noch eine „neutrale Zone “ dazwischen, und das Spazierengehen auf der Palisadenmauer war bei Badezeiten für Herren verboten. Sie hätten ja sonst die Badeengel mit ihren für heutige Begriffe unmöglichen Badekostümen sehen können mit den langen bis über die halbe Wade herabreichenden Hosen, mit Borten hübsch verziert, mit kleinem Schiffchenmuster. – Das Auskleiden hatte in den manchen Lesern noch bekannten grüne fahrbaren Badekabinen zu erfolgen, die dann ans Wasser herangefahren wurden, und von denen man auf kleiner Treppe gleich herunterstieg in die salzige Flut. – Natürlich mußten vor dem Baden Badekarten gelöst werden. Das Baden von Strandkorb aus, wie heute, war nicht gestattet! –
„Kurbetrieb“ gab’s natürlich damals noch gar nicht auf Baltrum. Es waren schätzungsweise auch nur 300 Badegäste auf der Insel, die an sich auch gar nicht nach besonderen Veranstaltungen fragten. Immerhin stand bei Küpers in der Verander ein Klavier, an welches sich zuweilen abends ein Kurgast setzte und die üblichen Salonstücke wie „Das Gebet einer Jungfrau“ oder den „Husarenritt“ vor dankbarem Auditorium zum Vortrag brachte. Dann durften wir Kinder auch mal länger aufbleiben und zuhören.
Idyllisch wie noch heute war damals das kleine Inselkirchlein mit dem Glöckchen auf hohem Gerüste daneben, welches ja heute noch steht. Damals war aber auch das Glockenseil noch daran, und wenn ich heute noch manchmal sinnend dort stehen bleibe, denke ich mit gewissem Stolz daran, daß ich selbst einmal als Junge das Glöcklein sonntags mit habe läuten dürfen, zusammen mit meinem Insulanerfreunde Hinrich, der uns gegenüber wohnte und sich im Laufe der Jahre damals mit manchem Kurgast-Jungen angefreundet haben wird.
Er hatte nämlich neben seinem Elternhause ein kleines Boot liegen, an dem sich’s so herrlich spielen ließ, so daß meine Mutter oft Mühe hatte, mich mit zum Strande zu nehmen…! – Allerdings war die Verständigung mit Hinrich nicht ganz einfach, weil er nur seine friesische Mundart sprach, die mir nicht immer verständlich war. Aber wir vertrugen uns prächtig! -Ich bin ein Textblock. Klicken Sie auf den Bearbeiten Button um diesen Text zu ändern. Lorem ipsum dolor sit amet, consectetur adipiscing elit. Ut elit tellus, luctus nec ullamcorper mattis, pulvinar dapibus leo.
Heinz Band, „Die Inselglocke“