23 Feb Essen & Trinken um 1900
Als Paul Erich Küppers, Künstler und Sommergast auf Baltrum, 1919 durchgeschüttelt von den Wellen der Nordsee aus der Brandung stieg, sagte er:
Kinder, jetzt ist's genug mit der Unendlichkeit und dem Kosmos. Er hängt mir zum Halse raus. Kann man auf dieser Insel nicht irgendwo einen guten Hummer essen mit einer Pulle Wein?
Hummer? Pulle Wein? – Na ja, Wein konnte man 1919 auf Baltrum sicher schon bekommen, lebte die Insel mehr schlecht als recht auch da schon seit einigen Jahrzehnten vom Fremdenverkehr. Doch der Hauptbestandteil der winterlichen Nahrung bestand aus Fischen, frisch, getrocknet und gesalzen. Sogar zum Tee am Sonntagnachmittag wurde dem Gast getrockneter Fisch angeboten. War der Fischvorrat erschöpft, holte man Muscheln, von denen es heißt „Mussel is’n goot Fisk, wenn d’r anners nix is“. Zum Nährwert hieß es „Dree Mussel’s – een Ei“.
Fleisch aller Art galt als Naschwerk, doch das Kaninchen als Sonntagsbraten ließen sich die Insulaner nicht entgehen. Sie gruben es in den Dünen heimlich aus seinen Löchern aus. Des öfteren liest man in alten Berichten Klagen über Dünenbeschädigungen und Wilddieberei.
Brot und Mehlspeisen: Das Brotbacken besorgte man selber. Roggen wurde vom Festland eingeführt. In der Weihnachtszeit gab es statt des sonst üblichen Schwarzbrotes selbstgebackenen „Stuten“, manchmal auch ein schweres Korinthenweißbrot. Schwarzbrot in Milch eingeweicht hieß „Stön in’t Liev“. Ein anderes Gericht war „Karmelkbree“, eine Art saure Milchsuppe mit „Gört“ (Grütze). Ein besonderer Leckerbissen war „Sackkok“, der mit Hefeteig und Rosinen in einem Tuch gebacken und mit Sirup und „Botterstipp“ aufgetischt wurde. Typisch für Baltrum war ein Gebäck aus Roggenmehl und Kleie, ohne Hefe, das auf der Herdplatte gebacken wurde: die „Buntjes“. Wenn man Glück hat, bekommt man es noch heute bei Baltrumer Straßenfesten angeboten.
An Gemüsen aß man besonders Bohnen, Wurzeln, Kohl und Zwiebeln. Die getrockneten „updrögt Bohnen“, die in den Sommermonaten auf Schnüre aufgefädelt wurden, waren ein Sonntagsessen. Auch eingemachte Prunkelbohnen aus dem Püllpott (Steintopf) wurden sehr geschätzt. Grünkohl war in jedem Garten zu finden – er wurde wegen des kargen Bodens mit einem Gemisch aus Schafsmist, Teek (angeschwemmtes, vermodertes Gras) und Miesmuscheln gedüngt. Weißkohl, Rotkohl und Steckrüben bezog man im Herbst vom Festland. Die Baltrumer „Sandkartoffel“ war besonders lecker und auf dem Festland heiß begehrt!
Obst gab es wie auch heute auf Baltrum kaum. Paul Otten schreibt: Obst war auf Baltrum von je her ein begehrenswerter Artikel. Wenn es von August bis September hieß „Konen liegt up Rä!“ war es für die Insulaner in jedem Jahr ein besonderes Ereignis. Der aus Westrhauderfehn stammende Schiffer brachte Torf und Äpfel auf die Insel. Er verkaufte „fatjeweise“ seine Äpfel und brachte auf seiner letzten Herbstreise dicke, rote Paradiesäpfel mit, die als Dauerobst bis Weihnachten gelagert werden konnten.
Das Getränk der Insulaner war auch damals schon der Tee. Mehrere Male über den Tag verteilt hieß es „drei Tassen sind Ostfriesenrecht“. … und vergessen Sie nicht, beim Sonntagsbesuch den Teelöffel in die leere Tasse zu legen, sonst könnte es Ihnen so ergehen wie anno dazumal dem Pastor aus Norden, der diesen Brauch nicht kannte und nach 32maligem Nachschenken völlig verzweifelt die Teetasse schließlich in die Hosentasche steckte!
Wegen des naßkalten Klimas war der Genuß alkoholischer Getränke auf den Inseln recht gebräuchlich. Vor allem Branntwein. Zu Neujahr gab es Kassenbranntwein (Kirschbranntwein, der in großen Gallonen vom Festland kam). Die alten Insulaner erzählten, daß sie dazu „manch‘ kesse Sohle auf die Holzdielen gelegt hätten“.
Zu festlichen Angelegenheiten, besonders bei einer Kindstaufe, reichte man den Gästen Branntwein mit Rosinen. Dies ist bei den Einheimischen auch heute noch Brauch. In manchen Häusern trank man das nach alten Rezepten hergestellte „Eierbeer“ mit einem verhältnismäßig geringen Alkoholgehalt.